NSU-Prozess, Doppelpass, 50 Jahre Deutsch-Türkisches Anwerbeabkommen – die aktuellen Anlässe für die gestrige Diskussion in der Jackson Pollock Bar konnten kaum vielfältiger und brisanter sein. Kerstin Andreaes Podiumsgäste Gökay Sofuoglu von der türkischen Gemeinde Baden-Württemberg, der Politikwissenschaftler Stefan Rother und Ibrahim Sarialtin – Grüner türkischstämmiger Stadtrat mit bayrischem Migrationshintergrund – zogen ein kritisches Resummee der Integration in Deutschland. Die wichtigsten Gäste aber fehlten – es war wenig „deutsches“ Publikum anwesend. So blieb der Satz „Integration ist keine Einbahnstrasse“ auch an diesem Abend ein frommer Wunsch.
Oder ist Freiburg als Multikulti-Insel im Schwarzwald schon einen Schritt weiter, ist die Integration schon abgeschlossen und so eine Diskussion obsolet? Ibrahim Sarialtin hatte damals in München Angst nach den Brandanschlägen von Mölln und Solingen. Er hielt immer ein langes Seil bereit, um sich und seine Familie notfalls über den Balkon zu retten. Die Wahrheit über die NSU hat diese Angst wieder zurückgebracht. Wenn man die mangelnde Sensibilität der Justiz bis kurz vor dem Prozess beobachtet, wenn man über die Ermittlungspannen in den Berichten des NSU-Untersuchungsausschusses liest – versteht man diese Angst und versteht die Verunsicherung in der türkischstämmigen Gemeinde. Aus diesem Blickwinkel ist dann auch erklärbar, warum die bürokratische Optionspflicht oft nicht als freie Entscheidung – deutscher oder türkischer Pass oder doppelte Staatsangehörigkeit – sondern als hinterhältige Ausbürgerung erlebt wird. Die jährlich steigende Zahl der Rückwanderer in die Türkei hat sich seit Bekanntwerden der NSU und dem Erhalt der Optionsschreiben verdoppelt. Wer möchte in einem Staat leben, der einen nicht Willkommen heisst sondern loswerden will?
Sofuoglus und Sarialtins Integrationsprojekte sind alle beispielhaft und wichtig. Eigentlich fehlt es aber an der inneren Haltung Deutschlands und seiner Bürger. Dies ist mit Blick auf die vielen deutschen Flüchtlinge in den Jahrhunderten – die in der ganzen Welt Heimat gefunden haben – eine Schande.
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